Unter Wasser

Wie viele Zitate es wohl über das Meer gibt? In diesem Moment fiel mir kein einziges ein. Ich wusste nur, dass mich jeder Blick auf das Meer glücklich machte. Der Geschmack des Salzes auf den Lippen, die rauschenden Wellen und der leichte Duft nach Algen und Fisch. Das Meer: mein Freund und meine Therapie vom Alltag. Ich war immer ein guter Schwimmer, auch wenn die Zeit in der Schwimmerauswahl meiner Schule schon einige Jahre her ist. Ich habe die Gefahr niemals gesehen, die dieser Freund für mich sein konnte. Wir waren eine Einheit bis zu dem Moment, als mich die Welle an der Atlantikküste von den Füßen riss. Das Meer kegelte mich in einem unachtsamen Moment von der Bahn, wie eine Bowlingkugel den einzig verblieben Pin. Ich wusste sofort, dass mich mein Freund heute hintergangen hatte. Er war sehr aufgewühlt, seit dem der Hurricane an seiner Küste entlang zog. Es reichte, um ihn wütend zu machen und als ich in seine Nähe kam, zeigte er es mir. Meine knapp 100 Kilo waren keine Stütze mehr, während mir die Wellen gegen die Beine schlugen und mich wie eine Hand mit sich nahmen. Ich öffnete die Augen und sah wie die Lichter über mir tanzten. Mal heller, mal dunkler – je nachdem wie viel Wasser zwischen Kopf und Freiheit stand. Die Geräusche, die sonst meine Seele streichelten, drangen mit solchem Getöse in meine Ohren, dass ich meinen Freund nicht mehr wieder erkannte. Laut und hektisch zugleich. Jeden Versuch, den ich unternahm, mit meinen Füßen den Grund zu erreichen und darin zu verankern, scheiterte. Jedes Körperteil zog in eine andere Richtung und wurde zum Spielball von Wellen und Strömung. Mein anfängliches Amüsement über die Situation wich binnen wenigen Sekunden einem Entsetzen, das ich so noch nicht kannte. Als ich zu dem Punkt kam, dass ich zum ersten Mal nach Luft schnappen wollte, konnte ich das Gefühl klarer deuten: es war Todesangst. Ich zögerte so lange wie möglich, da ich die Hoffnung auf ein Nachlassen der Kräfte meines einstigen Freundes nicht aufgab. Wie an einem Gummiseil schwang mich die Brandung gegen den Grund und wieder zurück. Meine Schwimmversuche führten mich nicht zur Oberfläche – ich wusste nicht einmal wann ich dazu in welche Richtung schwimmen sollte. Und so ergab ich mich dem tiefen Drang und sog meine Lungen voll, doch statt der so nötigen Luft war es ein Gemisch aus Salzwasser, Algen und Sand, das sich den Weg durch meine Luftröhre in meine Lungen bahnte. Ich fing sofort an zu husten und wusste, dass diese Reaktion meine Situation in völlige Aussichtslosigkeit treiben würde. Während das Meer noch immer an meinem Körper riss, wurden die Geräusche dumpfer und das Licht scheinbar heller. Für eine Millisekunde dachte ich, dass Rettung naht und jetzt alles wieder gut wird. Selbstbetrug funktioniert, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich wollte die Erkenntnis jedoch nicht einfach wahr werden lassen und kämpfte gegen die Situation an. Dass der Kampf nur noch in meinem Kopf stattfand konnte ich aber nicht sehen. Meine Augen wurden glasig und kurz war ich froh, denn das Meer war gefühlte eintausend mal mein bester Freund und nur einmal nicht. 

In diesem Moment kam mir doch noch ein Zitat in den Sinn: „Das Meer gibt, das Meer nimmt.“ Heute nahm es mich.